Widerstand und Ergebung

100 Jahre Dietrich Bonhoeffer

 

„Unser Leben hat fragmentarischen Charakter… Wo gibt es heute noch ein geistiges „Lebenswerk“? Wo gibt es das Sammeln, Verarbeiten und Entfalten, aus dem ein solches entsteht?...Unsere geistige Existenz bleibt ein Torso. Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze  eigentlich angelegt und gedacht war…..“

Dann wollen wir uns über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.

 

Dietrich Bonhoeffer

 

Gestern vor 100 Jahren, am 4. Febr. 1906 wurde Dietrich Bonhoeffer mit seiner Zwillingsschwester Sabine in Breslau geboren. Wer hätte geahnt, dass wir heute in der weltweiten Christenheit dieses Mannes gedenken. War es doch selbst 1953 innerhalb der Kirche noch strittig, ob man eine Gedenktafel in der Flossenbürger Kirche zum Andenken an Dietrich Bonhoeffer anbringen durfte. Es war noch ein Lernprozess, bis die Kirche begriff, was dieser Theologe an wirksamen Spuren hinterlassen hat.

 

„Deshalb kann die Kirche, können wir heute D. Bonhoeffers nicht gedenken, ohne zugleich das eigene Versagen zu bekennen. Andererseits kann das Gedenken an ihn ein guter Anlass sein, uns darauf zu besinnen, was er nicht nur gelehrt, sondern eben auch vorgelebt hat.“ Landesbischof Dr. Johannes Friedrich

 

 

Wir wollen  heute in drei Gedankenkreise das Leben Bonhoeffers nachzeichnen

 

I.                    Aufbruch

Es war die bessere Gesellschaft, in die der junge Dietrich als 6. von 8 Kindern  hineingeboren wurde. Der Vater ist Arzt und Neurologe Prof. Dr. Karl Bonhoeffer. Es ist eine gute bürgerliche Familie, sittsam und aufrecht. Man gibt sich nicht besonders fromm. Als die Familie 1912 nach Berlin zieht, ist das neue Haus Treffpunkt vieler Besucher aus studierten Kreisen.

Die Familie lebt kaisertreu und gut preußisch. Doch erste dunkle Wolken trüben das so bürgerliche Leben. Der 1. Weltkrieg zieht herauf! Dietrich B. ist 8 Jahre jung. Die anfängliche Kriegseuphorie ergreift  auch die Bonhoeffers. Als jedoch noch kurz vor Ende des Krieges der Bruder Walter  1918 in den Krieg zieht, beginnt das Bangen um ihn. Und es sollte nur 2 Wochen währen, dass die Nachricht vom Tod des Bruders die Familie erreicht.

Der Vater Karl Bonhoeffer nimmt dies sehr gefasst auf – man lässt  keine Gefühle zu. Für  Dietrich ist dies jedoch ein einschneidendes Erlebnis. Der Tod bricht in die heile Welt ein.  Es ist für ihn ein erster Einschnitt auf  seinem weiteren Weg. Es entsteht in ihm der Wunsch, Theologie zu studieren. Für das nüchterne und wenig fromme Haus ein überraschender Entschluss. Der Vater willigt ein.  1923 beginnt Bonhoeffer in Tübingen sein Studium.

 

 

Die Sinn- und Lebensfragen, die Bonhoeffer beschäftigen, bleiben während des Studiums unbeantwortet. „Weil er einsam war, wurde er Theologe, und weil er Theologe war, wurde er einsam.“ Die Theologie bewegt sich auch hier im gut bürgerlichen Fahrwasser. Erst der große Schweizer Theologe Karl Barth durchbricht die Selbstsicherheit und spricht von einem Gott, der dem Menschen entgegensteht; ein Gott, der sich nicht mehr vor den Karren irgendeiner Kultur oder einem politischen Größenwahn spannen lässt. Gott ist der ganz andere, der dem Menschen den Spiegel der eigenen Verlorenheit vorhält. Gott ist das ganz andere Wort – das allein die Kirche retten kann.

Karl Barth wird es sein, der Bonhoeffer zutiefst prägen und Profil geben wird. Doch noch bewegt sich Bonhoeffer ganz auf der intellektuellen Ebene. Mit 21 Jahren legt  er bereits seine Promotion/seine Doktorarbeit vor „Sanctorum communio“ – eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche.

 

 

 

II.                  Durchbruch

Nach einem Vikariat in Barcelona kehrt Bonhoeffer nach Berlin zurück. 1930 wird er Privatdozent an der Berliner Universität. Eine Reise nach New York wird dann für Bonhoeffer eine Wende, die er später mit folgenden Worten beschreibt: „Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und umgeworfen hat. Ich kam zum ersten mal zur Bibel! Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und gepredigt – und ich war noch kein Christ geworden.“ (S.43Ro)

Wie kommt es zu dieser Wende? Es sind die Begegnungen mit Christen in New York. Er sieht, wie die Rassendiskriminierung in den USA, er sieht  die Not der Gestrandeten, die von der Weltwirtschaftskrise angespült werden. Und er erfährt, wie  sich die Christen dort nicht nur intellektuell über Gott Gedanken machen, sondern Jesus nachfolgen. Kopf und Herz sind ein Ganzes. Und die Nachfolge Jesu führt sie in die Not der Menschen hinein. Die Gottesdienste in der farbigen Baptisten Kirche bewegen Bonhoeffer. Nun erfährt er leibhaftig, dass Glaube das Leben betrifft und prägt. Zugleich trifft er dort einen Französischen Christen Jean Lasserre, der sich ganz der Gewaltlosigkeit verschreibt. Jesus verbietet Krieg, er ist gegen Gewalt und Diskriminierung. Die Bergpredigt Jesu wird fortan sein Leben prägen und wird Mitte seines theologischen Denkens und Handelns. Bonhoeffer schreibt: Damals habe ich aus der Sache Jesu einen Vorteil für mich gemacht. Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt! Seit dem ist alles anders geworden.“

 

 

Als ein anderer kehrt Bonhoeffer nach Deutschland zurück.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

III.                Widerstand

 

Am 1. Februar 1933, zwei Tage nach der Machtergreifung Adolf Hitlers  - hält Bonhoeffer seine erste und zugleich letzte Rundfunkansprache in Berlin. Er nimmt kritisch Stellung zum Führerbegriff und sagt: „Lässt der Führer sich von dem Geführten dazu hinreißen, dessen Idol darstellen zu wollen – und der Geführte wird das immer von ihm erhoffen – dann gleitet das Bild des Führers über in das des Verführers. Führer und Amt, die sich vergotten, spotten Gottes.“

Noch bevor Bonhoeffer seine Ansprache beenden kann, wird das Mikrofon abgeschaltet – Später lässt Bonhoeffer den vollständigen Wortlaut seiner Ansprache in der Presse veröffentlichen.

 

Am 7. April 1933 führt das Nichtariergesetz zum Ausschluss aller Juden aus ihren staatlichen Ämtern. Auch Pfarrer mit jüdischer Herkunft haben ihr Amt aufzugeben. Bonhoeffer ist der erste Theologe, der sich mit diesem Unrecht auseinandersetzt. In einem Vortrag „Die Kirche vor der Judenfrage“ spricht er klare und mutige Worte:

„Die Kirche hat den Staat zu fragen, ob sein Handeln recht ist. Sie wird diese Frage in Bezug auf die Judenfrage in aller Deutlichkeit stellen müssen. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung  in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie  nicht der christlichen Gemeinde zugehören. Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“

Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache derer, die verlassen sind. Dieses Wort aus Sprüche 31,8 wird für ihn maßgebend. Kirche ist nur Kirche, in dem sie für die anderen da ist! Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.“

 

Nach einem Aufenthalt in London wird Bonhoeffer später berufen, für die Bekennen- de Kirche in Deutschland das Predigerseminar in Finkenwalde b. Stettin zu leiten. 1937 wird das Predigerseminar durch die Nazis gewaltsam geschlossen. Ein Lehrverbot wird über Bonhoeffer verhängt.  Im selben Jahr schreibt er das Buch Nachfolge: „Billige Gnade ist Vergebung ohne Buße; Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.

Teure Gnade ist: der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hat. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft.“

Bonhoeffer ist es ernst um die Nachfolge und bricht mit allen frommen Vertröstungen.

 

Wie sehr er sich von Gottes Geist leiten lässt, macht der Entschluss deutlich, nach einem weiteren Amerikaaufenthalt 1939 wieder nach Deutschland zurückzukehren. Unruhig verfolgt er in den USA, was sich in Deutschland zusammenbraut. Die Tageslosung aus dem Buch Jesaja: Wer glaubt, der flieht nicht! wird für ihn Anlass, die sichere Zuflucht zu verlassen und mit dem letzten Schiff nach Deutschland zurückzukehren.

 

 

 

 

Er schreibt über diese Tage:

Es war ein Fehler von mir, nach Amerika zu kommen. Ich muss diese schwierige Periode unserer nationalen Geschichte mit den Christen in Deutschland durchleben.

….Wahrscheinlich wird sich diese Reise sehr bei mir auswirken. Seit ich auf dem Schiff bin, hat die innere Entzweiung über die Zukunft aufgehört. Ich kann ohne Vorwürfe an die abgekürzte Zeit in Amerika denken.  (S. 74RoRo)

 

 

Zurück in Deutschland schließt er sich dem politischen Widerstand an. Als Vermittler  in der „Abwehr“ versucht Bonhoeffer Kontakte mit dem Ausland aufzunehmen. Er ersucht über den engl. Bischof Bell um Unterstützung bei der englischen Regierung. Doch England schenkt den Putsch-Plänen kein Vertrauen, solange nicht tatsächlich Taten in Deutschland zu sehen sind.

Es fällt ihm nicht leicht, an einem Tyrannenmord beteiligt zu sein. Doch weiß er, dass er als Christ dem Rad in die Speichen greifen muss, auch wenn er dabei Schuld auf sich lädt. Beten und Tun des Gerechten!

Im April 1943 fliegt die Sache auf. Bonhoeffer wird in Untersuchungshaft genommen. Zwar kann man ihm nicht Konkretes nachweisen. Trotzdem bleibt er in Haft. Monate der Unsicherheit, in denen er zur Untätigkeit verdammt ist, sind für ihn schwer zu ertragen. In dieser Zeit schreibt er Briefe, Gedichte und Gebete für die Mitgefangenen. Das Buch „Widerstand und Ergebung“ gibt Zeugnis von der Not und dem Glauben dieses Menschen.  

Anderthalb Jahre verbringt Bonhoeffer im Gefängnis Tegel. Der Gefangene vernimmt mit wachen Sinnen, was um ihn geschieht. Nachts hört er das Weinen, die Schreie und Seufzer seiner Mitgefangenen. Er selber durchlebt die tiefste Finsternis und Not. Er schreibt über sich selbst in diesen Tagen:

 

Wer bin ich…?

Sie sagen mir oft,

ich träte aus meiner Zelle

gelassen und heiter und fest

wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

 

Wer bin ich?

Sie sagen mir oft,

ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar,

als hätte ich zu gebieten.

 

Wer bin ich?

Sie sagen mir auch,

ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig, lächelnd und stolz,

wie einer, der Siegen gewohnt ist.

 

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?

Unruhig, sehnsüchtig, krank wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,

hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,

dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung.

Umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,

müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,

matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen.

 

Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?

Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler

Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?

Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,

das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

 

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.

Wer ich auch bin, Du kennt mich, dein bin ich, o Gott!

 

 

 

Nach dem gescheiterten Attentatsversuch am 20. Juli 1944 auf Hitler werden Dokumente gefunden, die beweisen, dass auch Bonhoeffer beteiligt war.

Am Tag nach dem gescheiterten Attentat schreibt Bonhoeffer seinem Freund Bethge:

Ich dachte, ich könnte Glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte…Später erfuhr ich und erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn  man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder…Und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben und Fragen, Erfolge und Misserfolge Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, - dann wirft man sich Gott ganz  in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube; und so wird man ein Mensch, ein Christ. (WiEr 183)

 

 

Er wird im Okt. 44 in das berüchtigte Reichssicherheithauptamt verlegt. Die Kontakte zu ihm brechen fasst völlig ab. Er schreibt:

 

 

Ein letztes Dokument Bonhoeffers ist das Gedicht für seine Verlobte Maria v. Wedemeyer, das er zum Jahreswechsel 1944/45 schreibt: von guten Mächten

 

 

Mit einem persönlichen Vernichtungsbefehl befiehlt Hitler am 4. April 1945 die Ermordung der Verschwörer. Klaus v. Donany, Canaris, sein Bruder Klaus Bonhoeffer  und andere Widerständler werden standrechtlich erschossen.

Bonhoeffer wird über das KZ Buchenwald nach Flossenbürg gebracht. Man hängt ihn am 9. April wenige Wochen vor dem Ende des Krieges.

Eines seiner letzten Worte waren: Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens.

 

 

 

 

 

 

 

Ein Zeuge ist wie ein Zeiger. So fragementarisch das Leben dieses Mannes war, so vielsagend ist es für uns bis zur Stunde. Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze  eigentlich angelegt und gedacht war…..“

Dann wollen wir uns über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.

 

Bundespräsident Köhler schreibt: ich wünsche, dass die Erinnerung an Bonhoeffer ermutigt, couragiert, um  aufrichtig zu handeln. Das Erbe, für das wir danken, verpflichtet.

 

Wir danken Gott für diesen Zeugen und wollen lernen, den Mund aufzutun zum Lob Gottes und für die Stummen.

Gott helfe uns dazu! Amen