Predigt „geheiligt werde dein Name“
Einer für alle 6. April 2008
Heilig: göttlich? Moralisch integer? Aus einer anderen Welt? As heißt „heilig“
Als kleiner Junge war für mich der Besuch meines Opas in Bad
Schwartau immer ein besonderes Highlight. Besonders freute ich mich immer auf
den Marzipan-Nuss-Torte. Ich hatte eine besondere Art, sie zu essen: ich nahm
das Marzipan zunächst zur Seite und behielt es dann bis zum Schluss – das Beste
kommt zum Schluss. Was hat das mit unserem Thema heute zu tun? Das was ich da
gemacht habe, erklärt – zumindest in Ansätzen – was es heißt etwas zu heiligen:
aussortieren, zur Seite nehmen, einen besonderen Bereich definieren, anders-sein, verschieden sein.
Geheiligt werde dein Name – so die erste Bitte im Vater-Unser.
Geheiligt werde dein Name. Im Sinne meines
Marzipan-Nuss-Torte-Vorgehens heißt das also für den Namen Gottes, dass er
besonders behandelt werden soll, dass ihm ein besonderer Ort, ein besonderer
Platz eingeräumt werden soll. Diesem Sinn kommt es nahe, wenn wir etwa sagen:
„Denen ist wohl nichts mehr heilig“ (PP), wenn z.B. Menschen einen Friedhof
schänden. Hier scheinen Menschen das Gefühl dafür verloren zu haben, dass es
besondere Bereiche gibt, dass es Dinge gibt, die man nicht ohne weiteres
antastet. Die Diskussion über das Fernsehprogramm über Ostern ging z.T. in eine ähnliche Richtung: Auch christliche Feiertage
sind in den Medien nicht mehr heilig; man kann gerade dann alles im Fernsehen
zeigen. Wenn wir von der Heiligung des Sonntags sprechen, geht es eben auch um
diese Frage: gibt es in unserem Lebensrhythmus
noch einen Bereich, in dem etwas anders ist, der heraus genommen ist aus
dem Alltag, in dem noch andere Werte als nur Geld und Leistung zählen.
Das gilt es zuerst einmal festzuhalten:
Heilig ist etwas, das einen besonderen Platz beansprucht,
dass anders ist als alles andere, dass vom Gewöhnlichen zu trennen ist, das
besonders ist, das aussortiert wird, um einen besonderen Auftrag zu erfüllen. (PP)
Gott ist heilig, d.h. er ist
besonders, er ist anders. Dabei geht es in der Bibel an solchen Stellen nicht
um seine Größe oder Kraft, sondern immer wieder um sein Wesen:
„Gottes Heiligkeit bedeutet
hier (im AT), dass er seinem eigenen Wesen, dass er seiner grundlosen Treue und
Liebe treu bleibt. Seine Heiligkeit will letztlich das Heil der Menschen.“
Im NT werden alle Christen als
Heilige bezeichnet. Nicht, weil sie einen guten Lebenswandel führen, sondern
weil sie von Jesus gerufenen, herausgerufene, herausgeholte Menschen sind. Die
Korinther z.B. machten ziemlich wilde Sachen, das wissen wir aus den
Korintherbriefen im NT: wenn man in der Gemeinde beim Abendmahl gemeinsam
speiste, packten die Reichen Leute ihr gutes Essen aus und spachtelten so
richtig gut, während die Armen ihr altes Brot kauten. Man scheute sich nicht
einen Bruder oder eine Schwerster aus der Gemeinde wegen einer Streitigkeit
vors Gericht zu zerren. Nicht gerade christlich das ganze Verhalten. Und doch
schreibt Paulus an die Heiligen in Korinth. Nicht, weil es sich hier um so gute
Menschen handelte, sondern weil das alles Menschen waren, die von Jesus
aussortiert und mit einer Aufgabe betraut worden waren.
Heilig zu sein ist also keine
moralische Qualifikation. Ein Heiliger
ist also nicht ein Mensch, der besonders moralisch lebt. Sonder einer, der auf
die Seite gelegt wurde, der getrennt wurde, der für eine besondere Aufgabe
aussortiert worden ist. Jeder Christ ist deshalb in der Tat heilig
Dein Name werde geheiligt, könnte dann
heißen, dass wir darum bitten, dass Gottes Namen moralisch einwandfrei
gebraucht wird.
Aussondern, zur Seite legen;
besonders lassen.
Dein Name werde geheiligt, will also nicht nur an das erste
Gebot erinnern und uns sagen: Missbrauche nicht den Namen Gottes! Sondern es
ist auch die Bitte darum, dass der Name Gottes einen besonderen Platz in dieser
Welt und in unserem Leben bekommen soll, dass der Name Gottes anders behandelt
werden soll. Das schließt natürlich mit ein, dass er nicht missbraucht wird –
wie beim Fluchen oder wenn er auf Koppelschlössern von Soldaten genannt wird -,
aber es sagt natürlich noch viel mehr.
Dazu möchte ich genauer den zweiten Teil unseres Satzes
anschauen: Was genau ist mit dem Namen Gottes gemeint?
2. Dein Name
Die Zeugen Jehovas gehen ja davon
aus, dass Gott einen Menschen nur hört, wenn man ihn mit dem richtigen Namen
anspricht. Und dieser richtige Name ist ihrer Ansicht nach Jehova – im
hebräischen fehlen ursprünglich die Vokale; im AT steht für Gott „JHWH“; die ZJ
sagen jetzt: JeHoWaH“ sei der richtige Name und nur
wer den kenne, hätte Zugang zu Gott.
Aber: JHWH steht wohl viel eher für JaHWeH
und vor allem, was für ein kindischer Gott wäre das, der nur hört, wenn man ihn
richtig anspricht.
Aber natürlich stimmt es, dass Name und die Person tatsächlich
in einem direkten Verhältnis zueinander stehen. Wenn uns jemand permanent mit
dem falschen Namen anspricht, fühlen wir uns verletzt. Viele von uns haben
Ihren Kindern ganz bewusst einen bestimmten Namen gegeben, weil sie die
Bedeutung gut und passend fanden. Es ist für Auch wenn liebende Kosewörter füreinander verwenden zeigt das: Name und
Person stehen in einem engen Verhältnis
zueinander. Auch die Bibel teilt diesen engen Zusammenhang zwischen
Namen und Wesen in Bezug auf Gott: .
Mose fragt Gott am brennenden Dornbusch
nach seinem Namen. Wie heißt du? Die
Antwort ist ebenso geheimnisvoll wie rätselhaft. Der Theologe Jürgen Ebach schreibt: „Die
angemessene Übersetzung dieser Antwort, die drei Worte umfasst, wäre eine
vollständige "Biblische Theologie".(PP) "Ich bin, der ich
bin", "Ich werde sein, der ich sein werde", "Ich werde mich
erweisen als der, der ich bin", "Ich bin für euch da als der, als der
ich für euch da sein werde" - das sind nur einige der Übersetzungs- und
Verstehensmöglichkeiten.“ (Jürgen Ebach, und behutsam
mitgehen mit deinem Gott." Theologische Reden Bd. 3. Bochum 1995,
S.157-170 (i.A.))
Das steckt auch in dem Wort Jahwe. Gottes Name drückt sein Wesen aus: Da
zu sein, für die Menschen da zu sein. So wird in den Psalmen auch häufig Gottes
Name angebetet, wird auf den Namen Gottes gehofft; letzten Endes also ist mit
dem Namen immer gleich Gott selbst gemeint. Auch im NT lässt sich das
ausmachen.
Geheiligt werde dein Name, heißt dann also: Gott selbst soll
geheiligt werden.(PP) Ihm selbst soll ein besonderer
Platz zukommen - in dieser Welt und in unserem Leben. Warum bitten wir gerade
ihn darum? Das hört sich doch eher nach einer Aufgabe unsererseits an? Wir
bitten das, weil wir merken, dass wir das selber nicht hinkriegen.(PP) Wir schaffen es nicht. So sagt es Martin Luther auch
im Kleinen Katechuismus: „Gottes Name ist zwar an
sich selbst heilig, aber wir bitten in diesem Gebet, dass er auch bei uns
heilig werde.“ (PP)
Und doch sind wir natürlich nicht aufgefordert, tatenlos zu
sein, sondern Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Frei nach dem Motto: So
beten, als helfe alles Tun nichts. Und so handeln, als helfe alles beten
nichts.
Wie also soll das nun funktionieren, Gott einen besonderen Platz
in unserer Welt und in unserem Leben zu geben.
(PP)
a) Ihm (einen) Raum geben: in dieser Welt und
b) in meinem Leben
c) Seinen Namen nicht missbrauchen, ihn selber zu Wort kommen lassen
a)
Wir sollen Gott einen besonderen Platz in dieser Welt geben. Jesus
fordert uns auf Salz dieser Erde und Licht dieser Welt zu sein. Was könnte das
bedeuten? Das könnte heißen, sich aktiv
einzubringen, dass in den Medien an christlichen Feiertagen auch christliche
Inhalte zu finden sind (zu loben ist hier z.B. der Schwabo,
der am Grün-Donnerstag die Gedanken zu Karfreitag und Ostern von Franz Röber
auf der ersten Seite des Lokalteils abdruckte). Das könnte heißen, Räume zu
gestalten, in denen Menschen Gottes Gegenwart erspüren können. Die
Stadtkirchengemeinde denkt ja darüber nach die Kirche auch unter der Woche zu
öffnen. Damit würde ein Raum geöffnet, in dem Menschen Gottes Nähe nachspüren
können. à
Wien; Gebetswände in Kirchen. Gottes Name in dieser Welt zu heiligen, kann auch
heißen für Gerechtigkeit und Menschenwürde in dieser Welt einzutreten. Wer
Menschen, die Gott geschaffen hat, ausbeutet und für seine Zwecke missbraucht,
tritt ihn selber mit Füßen. Deswegen ist
es gut, wenn wir für Menschenrechte eintreten, für Gerechtigkeit in der
Steuerpolitik, für Entwicklungshilfe, für Umweltschutz und gegen Maßlosigkeit
und Gier angehen.
Das könnte heißen Gottes
Liebe in Worten und Taten in diese Welt zu tragen, nach Möglichkeiten zu
suchen, dass Gott Landeplätze in dieser Welt findet. Seine Freundlichkeit
weiter zu geben. Das könnte heißen für andere Menschen zu beten.
b)
Gott einen besonderen Platz in meinem Leben geben. Ich will das
mal zunächst sehr allgemein angehen. Anselm Grün spricht von dem inneren Raum
der Stille, von der inneren Mitte.(PP) Einen Ort, eine Zeit, an dem wir Kontakt zu unserer
Seele haben, zu unserem innersten Selbst. Auch Jesus hat daran erinnert, dass
der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt. Dass er allein am Brot verhungern
kann. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch
Schaden an seiner Seele?“ (Mt. 16, 26) Oder anders: „Der Sinn, den ein Mensch
zu erfüllen hat, ist etwas das über ihn hinausweist.“ (PP Viktor Frankl) Wer alles nur im Material und im „Glücklich-Sein“
sucht, verfehlt am Ende sein Leben.
Überhaupt
diesem Bereich eine Existenz zu zugestehen, ihn für wichtig zu erachten, sich
zu trauen über diesen Bereich nachzudenken und zu reden ist ein erster Schritt.
Adrian Plass erzählt in seinem Buch „Die steile
Himmelsleiter“ von einem LKW-Fahrer, der ihn als Anhalte mitnahm und während
der Fahrt ein Gedicht vortrug, dass er selber geschrieben hatte, aber noch
niemanden erzählt hatte. "Hast du's irgend jemand mal aufgesagt?"
fragte ich. "Du machst :wohl Witze, was? Wenn ich
den Kumpels sag, ich hab' so'n dämliches Gedicht
geschrieben, das bekäm' ich Tag und .Nacht zu hören.
Das musste dir nur mal vorstellen, wie ich reingeh in
die Kneipe und sag: ,Hört mal, Jungs, ich hab 'n
Gedicht geschrieben über so 'ne dämliche Rose!' Nee, kann ich mir nich' vorstellen."
Seinem
unbekannten Mitfahrer aber traut er sich, das Gedicht aufzusagen. Plass schreibt:
Während ich blicklos durch die breite Windschutzscheibe vor mir starrte,
fragte ich mich, was wohl Gott von all dem hielt. Nach ein paar Minuten musste
ich das Gesicht dem Seitenfenster neben
mir zuwenden. Ich wollte nicht, dass der Fahrer die Tränen in meinen
Augen sah. Ich hatte das Gefühl, als wüsste ich, was Gott jetzt denken musste.
Den ganzen langen Weg auf der Überlandstraße und hinein in die sinkende Sonne
weinte er vermutlich mit mir zusammen um all die Menschen, die Gedichte in
ihrer Seele tragen und nicht glauben können, dass irgend jemand sie hören
will.“ (A. Plass, Die steile Himmelsleiter)
Gott freut sich, wenn Menschen ihre Seele
wahrnehmen. Und sich einen Raum der Stille schaffen, ihre innere Mitte suchen –
und Gott an diesen Ort einladen.
Der Benediktinermönch und Autor zahlreicher
Bestseller Anselm Grün, der jeden Morgen diesen Raum der Stille aufsucht,
schreibt (PP) „Zu diesem Raum des
Schweigens haben die Turbulenzen von außen und von innen keinen Zutritt. Für
mich ist es daher wichtig, mir jeden Morgen bei der Meditation vorzustellen, dass
ich dieses Jesus Gebet in diesen inneren Raum der Stille führt, in dem der
dreifaltige Gott in mir wohnt mit seiner Barmherzigkeit und Liebe. Dort, in
diesem inneren Ort des Schweigens, können mich die Menschen mit ihren
Erwartungen nicht erreichen. Da lassen mich die Konflikte und Streitereien in
Ruhe. Da kann ich nicht verletzt werden. Da erlebe ich eine gute Distanz zu
allem, was um mich herum geschieht. Da erfahre ich die Freiheit von der Macht
der Menschen, von der Macht ihrer Erwartungen, ihrer Ansprüche, ihre Urteile
und Verurteilungen… Und wenn ich mit diesem Raum der Stille in Berührung bin,
werde ich nicht so leicht ausgebrannt. Denn ich spüre, dass in diesem Raum eine
Quelle sprudelt, die nie versiegt, weil sie von Gott kommt.“ (Anselm Grün, Menschen
führen – Leben wecken, S: 112).
Dieser Raum besteht aus Stille, einem Abschnitt
aus der Bibel, Gebeten, vielleicht einem Lied,
gesungen oder von einer CD. Vielleicht hilft ein besonderer Ort, ein Bild, eine
Kerze. Manchen hilft das Losungsbüchlein, der Neukirchener Kalender oder
irgendein anderes Andachtsbuch. Artikel aus guten Zeitschriften oder Abschnitte
aus einem Buch. Vielleicht ist auch der Jakobsweg gerade das richtige. (s.
Margot Käßmann, Mit Herzen, Mund und Händen –
Spiritualität im Alltag, Gütersloher Verlagshaus; s. verschiedene Bücher, die
ich mitgebracht habe; vielleicht auch ein Gesprächsthema beim Essen – neben dem
Fußball-Spiel von gestern) Viele Menschen machen da ganz unterschiedliche
Erfahrungen. Die Frage ist nur generell: Mache ich mich auf den Weg zu diese
Ort. Gebe ich Gott Raum in meinem Leben. Ich denke wie Blaise Pascal, der große
Mathematiker und Theologe (sage noch einer, dass das eine komische Kombination
sei), der im 17. Jhd. lebte und sagte: „Im Herzen
eines jeden Menschen befindet sich ein Vakuum, das durch nichts Erschaffenes
gefüllt werden kann, als allein durch Gott den Schöpfer, so wie er sich uns
durch Christus offenbart.“(PP) Etwas neuer, aber inhaltlich sehr ähnlich von Fullbert Steffensky: Die Menschen
sind müde mit der banalen Oberfläche des Lebens zufrieden zu sein.“(PP) Letzten Endes geht es darum in dieses Vakuum
Jesus selbst hineinzurufen. Dieser Jesus sagt: Offb.
3,20: Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimmer hören wird
und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen.“
c)Gottes Name zu heiligen, Gott einen,
seinen, Raum in meinem Leben geben, das heißt auch, dass wir wirklich ihn zu
Wort kommen lassen und nicht irgendein Zerrbild, eine schlechte Kopie oder
Übersetzung. Das kennen wir, da begrüßt uns jemand mit den Worten: Ja, über sie
habe ich schon viel gehört.(PP) So geht es Gott auch
oft, wenn er ein Gespräch mit uns führen will. Ah, über sie Herr Gott habe ich
schon viel gehört! Oft haben wir Bilder vor Augen und Erfahrungen gemacht, die
verhindern, dass wir Gott selber sehen. Wir sehen oft ein Zerrbild. Diese
Zerrbilder führen bei vielen Menschen dazu, dass sie sich von Gott abwenden
oder dass sie an ihrem Glauben krank werden. Das ist der eigentliche Missbrauch
des Namens Gottes: wenn wir auf Dinge Gott drauf schreiben, aber Gott gar nicht
drin ist.
So haben viele Christen Hitlers Machtergreifung als Gottes
Geschenk gefeiert. Sie haben Gott drauf geschrieben, obwohl Gott gar nicht drin
war.
So manche Eltern haben einen Gott erfunden, der ihnen die
Erziehung erleichterte. Er sieht alles und bestraft alles. Sie schreiben auf
die Big-Brother-Box „Gott“, obwohl er gar nicht drin
ist.
Richard Horn, ein Pfarrer aus
Berlin, schreibt in seinem Blog-Tagebuch: Auch ich
kenne aus der Seelsorge Menschen, … <für die Gott> nichts tröstliches hat
… nichts ermutigendes, heilsames, aufbauendes, erlösendes … sie sehen in ihm
nur die harte Faust eines Gesetzes, dass ihnen sagt: „Du musst, auch wenn du
nicht kannst...“
In welcher Bibel steht das bitte?
Tamara
Hinz beschreibt ihre Gedanken nach einer Routine-Operation, nach der ihre Blase
für einige Tage versagte – obwohl sie zu Gott mehrfach gebetet hatte (mir geht
es mit meinem Knie ähnlich, das seit Wochen schmerzt). „Anderen schien Jesus
sich zuzuwenden, bei anderen schien das ganze christliche Zeug zu
funktionieren, nur bei mir nicht. Eine alte Wunde war wieder aufgerissen. Ich
sah mich einsam und verlassen auf einem Bahnsteig stehe, von dem gerade ein Zug
voller fröhlich winkender, strahlender Christen abfuhr – nur ich war nicht
dabei. Und Gott? Der war wahrscheinlich mitten in dem fröhlichen Getümmel – bei
mir war er jedenfalls nicht.“ Sie hatte – wie sie in ihrem Buch „Katastrophen
Glück“ beschreibt immer nur gelernt, dass Gott und Erfolg, dass Gott und der
erste Platz zusammen gehören. Man hatte Gott auf die Kiste „Erfolg“, „Glück im
Leben“ usw. geschrieben – und wer in seinem Leben nicht auf der Überholspur
ist, der hat eben was falsch gemacht, hat Gott nicht verstanden oder ist
einfach zu schlecht, als dass Gott Interesse an ihm hätte. Das Leiden am Kreuz scheint da fast ein
Betriebsunfall, lieber wäre diese Menschen dann wohl doch gewesen, wenn Jesus
vom Kreuz herunter gestiegen wäre.
Auch Väter tragen oft zu einem Zerrbild bei. John
Smith, ein Australier erzählte von einer Begegnung mit einem jungen Mann:
Dieser gab ihm eine Chance von Gott zu erzählen, indem er fragte. „Okay Freund,
wie ist Gott? Da John Smith direkt vom Theologiestudium kam, platzte er heraus:
„Er ist wie ein Vater.“ Die Augen des jungen Mannes flackerten auf vor Zorn.
„Wenn er irgendwie ähnlich ist wie mein Alter, dann kannst du ihn
behalten!“
Gottesvergiftung – so nannte der Psychologe Tilman Moser sein Buch, das
er 1976 veröffentlichte und in der er
sich mit der Religion sehr kritisch auseinander setzt. Er distanziert sich von
dem düsteren Glauben seiner Kinderzeit, von einem Gott, der alles sieht und
verurteilt, der streng und unnachsichtig ist, der wenig liebt und viel
bestraft... „Gott ist nicht tot“, sagt Tilman Moser, „er lebt als Krankheit in
uns fort.“
Auch das Gegenteil kann der Anfang vom Ende der Beziehung zu Gott
sein. Gott wird dann die Abkürzung von Guter Opa total taub. Gott als alter
Mann, der alles – das Böse, damit aber auch das Gute – einfach so hinnimmt, der
am Ende eine dicke Soße über alles kippt. Ein Softie, der ganz postmodern alles
für gültig erklärt. Was bitte soll ich mit so einem labbrigen Gott, der zu
nichts wirklich eine Meinung hat? Der katholische Kardinal Lehmann sprach gerne
davon, dass man Gott nicht zum Popanz
machen solle: zu einem willenloses, unselbständiges, von anderen abhängiges
Geschöpf. Dann bleibt nichts mehr davon, dass der Mensch sich für sein
Verhalten vor diesem Gott rechtfertigen muss, dass es ein Gut und Böse in
dieser Welt gibt.
Oder Gott der Heilige, der unberührbar ist, der mit die sündigen,
ekligen Menschen nur mit einer Zange anfasst; der sie nicht mag und nur mit
zugekniffener Nase unsere Gegenwart aushält. Vergessen, dass er in die Welt
gekommen ist und gerade die Unberührbaren berührt hat, dass er sich nicht zu
fein war, die Nähe der verruchtesten Menschen der damaligen Zeit zu suchen –
ohne dass er Latex-Handschuhe oder einen Mundschutz trug. Nein, er schien diese
Menschen zu mögen, er liebte sie.
Und dann gibt es auch das: Gott wird auf die Kiste geklebt, in der
schönes Erlebnis oder Glück steht, die Auflösung Gottes in dieser Welt, die
Auflösung im Erlebnis, im Spaß, im Glück. Dann schreibt man auf das schöne
Erlebnis Gott, dann ist der Spaß, den
man hat Gott. Dann wird der Mensch und sein Erlebnis zur letzten
Instanz, wird man sich selber zum Gott. à Fußball-Spiel. Wenn wir das stehen lassen, dann betrügen wir den
Menschen um etwas: Schöne Ereignisse und Glück sind ja nichts böses. Aber sie
geben kein Leben, sie halten nicht im Leben und sie halten nicht im Sterben.
Sünde ist - nach Meinung dieser
engen, krankmachenden Religiosität das Verfehlen der in der Gruppe anerkannten
Moral - während die Sünde in der Bibel als Verstricktheit in die
lebensfeindlichen und gottfernen Zwänge der Welt gesehen wird, also gerade
darin, dass wir gehindert werden, in der Freiheit zu leben, zu der Gott uns
berufen hat.
Wo Luther fragte: „Wie kriege ich
einen gnädigen Gott?“, da sucht Tilman Moser nach einem „erträglichen“ Gott,
nach einem Gott, dessen Nähe man „aushalten“ kann und dem man Andacht, Gebet
und Meditation widmen kann, ohne daran krank zu werden.
Wir können uns unseren Gott nicht
aussuchen, ihn nicht selber backen nach unserem Bild oder nach unseren
Wunschvorstellungen: Es gibt wohl auch den Gott, der unbegreiflich ist und
unvorstellbar, den unbekannten, verborgenen Gott, den deus
absconditus, wie Luther ihn genannt hat. Entscheidend ist für Luther aber, dass
uns dieser Gott, der dunkel und drohend sich verhüllt, dass uns dieser Gott
nichts angeht. Wir glauben an Gott, der sich selbst offenbart, der sich zeigt
als Gott, der liebt, vor jeder Leistung und trotz aller Schuld des Menschen.
Wir glauben an Gott, der der Vater Jesu Christi ist und in ihm Mensch geworden
ist als Sohn, der jeden von uns mit seinem Segen besiegelt hat, der uns befreit
hat zum Leben durch die Taufe als Heiliger Geist. So hat er sich uns offenbart,
das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.
Offenbar ist er geworden, und so hat er sich uns zugewandt - und was noch
verborgen ist von ihm, das geht uns nicht an.“
(http://pfarrers-tagebuch.blog.de/2008/02/24/verdachtig_laute_glocke_2_thema_gottesve~3773705)
Wir
haben uns ein Bild von Gott gemacht. Und von uns selbst. Aber unser Urteil über
Gott und über uns selbst, ist oft mehr ein Vorurteil, das einer wirklichen
Begegnung im Wege steht.
Aber
wie ist Gott denn nun wirklich? Die Welt spricht doch in der Tat keine
eindeutige Sprache. Da sind unterschiedliche Erfahrungen, gute und schlechte.
Immer dann, wenn wir Gott da rein projizieren, geht etwas schief.
Angesichts
der Nazi-Katastrophe haben das Männer um Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer in
der sog. Barmer Theologischen Erklärung so
formuliert:
Barmen
1: Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das
eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu
vertrauen und zu gehorchen haben. (PP)
Wir verwerfen die
falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung
außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und
Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.
In
Jesus hat Gott ein für alle mal und abschließend geredet. Jesus hat gesagt: Wer
mich sieht, der sieht den Vater(Joh. 14, 9). Jesus
ist sozusagen das „Gleichnis Gottes“ (Eberhard Jüngel).
Wenn wir Jesus ansehen, wissen wir, wie Gott es meint.(PP)
Wenn wir sehen wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist, sehen wir, wie er mit
uns umgeht, wie er es mit uns meint. Und dann merke wir auch das das nicht nach
Schema F, nach genau festgelegen Gesetzen funktioniert. Jesus ist zärtlich und
wütend, herausfordernd und milde, impulsiv und bedächtig.
(D.h. aber) ich habe Gott nie in der Tasche. Es gibt keine Formel
und kein Patentrezept. Es gibt keinen festen Weg, den ich beschreiten muss,
keine speziellen Übungen, die irgendetwas garantieren. Jesus selber ist der Weg
– d.h. eben keine Lehre, sodnern eine Person - und er ist lebendig, immer wieder neu, nie am
Ende. Viele Menschen wie z.B. auch die hier schon zitierten Tamara Hinz und
Adrian Plass haben durch Lebenskrisen hindurch ganz
neue Seiten von Gott entdeckt. Es ist wie eine Zwiebelschale: Immer wieder
liegt darunter eine neue Schicht. Eines aber kann man beobachten: Um so weiter
eine Mensch in die Mitte der Sache vordringt, um so mehr erfährt er, um so mehr
lernt er und um so mehr strahlt diese Menschen das auch aus, dass Gott Liebe
ist (1. Joh. 4, 16). Luther sagte Gott ist ein glühender
Backofen voller Liebe, der von der Erde bis an den Himmel reicht.
Und am Ende stößt man immer auf Jesus, der letzten Endes Gottes
Liebe in Aktion ist.
D.h. Aber eben nicht, dass Gott
einfach „lieb“ ist. Er will etwas von mir, er fordert mich heraus, er hat ein
Ziel mit mir, eine Aufgabe für mich in dieser Welt. Richtige elterliche Liebe
nimmt natürlich an, was sie vorfindet. Aber sie hat ein Ziel, sie will diesen
kleinen Erdenmenschen zu einer selbständigen Person machen. Gott hat etwas vor
mit uns. Er will durch uns diese Welt verändern, vielleicht nicht immer das
große Ding, aber im Kleinen, oft im Verborgenen, will er uns gebrauchen, um
Licht in diese Welt zu bringen.
Dazu muss ich lernen, dazu muss
ich mich verändern à Einrad Fahren;
Musikinstrument Gott sieht uns mit Liebe an und er in diesem Blick sieht er
schon, was aus uns werden kann. Er will uns auf diesem Weg begleiten, uns
erneuern, lenken, anleiten. Gott hat uns einzigartig gemacht und will, dass
diese Einzigartigkeit sich voll ausbildet, mit ihren Begabungen und Nicht-Begabungen,
mit ihren Stärken und Schwächen.
Adrian Plass schreibt über seine
Begegnung mit dem anglikanischen Bischof Peter Ball: (PP) „Peters Worte und
sein Wesen waren von einer Kraft erfüllt, die mir das Gefühl gab, ich könnte
all das werden, das er beschrieb. Etwas an <ihm> legte mir den Gedanken nahe, ich sei
vielleicht gar kein so übler Bursche. Das war etwas völlig Neues für mich.
Meine bisherige Erfahrung hatte vor allem die unüberbrückbare Kluft zwischen
der Vollkommenheit Gottes und meiner eigenen, sündenverseuchten wurmartigen
Existenz betont. Oft schien es mir, als sei es geradezu verpönt, sich von Gott
„gemocht“ zu fühlen. Von Gott „geliebt“ zu werden – das ging in Ordnung, denn
geliebt wurde man ja trotz allem, was man ist. … Gott mag mich: Das bedeutet nicht im geringsten, dass man
seine Fehler und Schwächen bagatellisiert oder ignoriert … Gott ist nett und er
mag mich. Was für ein Gedanke!“ (PP) Das erinnert mich an
Worte von Ruth Heil:
Als Gott dich schuf legte er liebevoll ein
Stück von sich selbst in dich hinein.“(Ruth Heil) (PP) Gott hat in jeden
von uns etwas wunderbares gelegt, etwas besonderes, etwas einzigartiges. Und
das ist einer von vielen Gründen dafür, dass er uns mag.
à
Tamara Hinz wählt das Bild eines Gartens um das zu erklären. Das Bild passt
sehr gut, um die Spannung zwischen der Liebe Gottes auf der einen Seite und
meiner Unvollkommenheit auf der anderen Seite deutlich zu machen: In (m)einem
Garten gibt es die schönen Seiten, die gelungenen. Wenn Gott sie sieht, freut er
sich daran, er umarmt mich. Er verweilt an diesen Stellen und sieht die
kleinste Kleinigkeit, die gelungen ist. à auch aus meiner Kindheit: In einem
Urlaub im Schwarzwald (Baiersbronn Mitteltal) trafen wir Verwandte, saßen
zusammen und schauten Bilder an. Mein Onkel lobte an meinen Bildern viele Aspekte, die ich gar nicht
wahrgenommen hatte (ob er Recht hatte, weiß ich nicht, damals jedenfalls
glaubte ich das und es tat mir sehr gut, denn ich war ein pubertierender
Jugendlicher mit einem sehr kleinen Selbstwertgefühl – ich bin übrigens immer
noch mit keinem großen Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl ausgestattet,
auch wenn das niemand glaubt) So ist Gott auch: Er sieht Dinge, die wir gut
machen und können, die andere und wir gar nicht wahrnehmen – er aber sieht
es. Er lobt uns dafür und erfreut sich
an unseren Begabungen. Er stellt ein Schild auf: Schön, dass du da bist“. In jedem Garten findet er diese schönen
Seiten. Dann gibt es auch die Stellen,
die nicht schön sind, eher dunkle Seiten, in die wir sonst keine Besucher
führen. Oft überwiegen diese Seiten wohl auch. Er sieht, wo wir etwas völlig
falsch gemacht haben, wo wir etwas vernachlässigt haben, wo andere vielleicht
schwere Wunden in unserem Garten zurückgelassen haben. Gott ignoriert diese
Seiten nicht; er sieht sie – aber er wendet sich nicht ab, läuft nicht davon.
Er sagt nicht: Mit so einem will ich nichts zu tun haben. Da kann man nichts
machen, ein hoffnungsloser Fall. (PP!!)Sondern er sagt:
Da
machen wir was draus. (PP!!)
Komm aus der dunklen Ecke deiner
Vergangenheit, die dich festhalten will, komm aus der Ecke Enttäuschung, aus
der Ecke der Schuld, Komm aus der Ecke deiner Sorgen, ich nehme sie dir, wirf
alle Sorgen auf mich, ich will dein guter Hirte sein. ich will bei dir in deinem Garten leben, gib
mir Platz in deinem Herzen.
Da
machen wir was draus. Das sagt er heute morgen zu jedem von uns. Machen wir was
daraus? Wir machen was daraus!
Geheiligt werde dein Name, das heißt, Gott an die Arbeit zu
bitten – in diese Welt und in den Garten meine Leben. Amen