EFA – Gottesdienst,

Nagold, 09.10.2005 – 11.00 Uhr

 

Thema:

„Müssen wir wieder tun, was wir wollen?

- Kinder müssen erzogen werden, aber wie?“

Text: Micha 6, 8 (Wochenspruch)

 

Tun, was wir wollen – so definiert man Glück, liebe Gemeinde! Sie doch auch! Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, so sagt der Volksmund. So dass wir nah am Paradies jetzt miteinander sind.

 

Tun, was wir wollen! So definiert man Glück. Doch leider hat die Ehefrau eine ganz andere  Philosophie. Der Müll dät nausgkera, sagt die ganz schlicht. Und schon ist man weit weg vom eignen Wollen.

 

Doch leider sind die Umstände ganz anders. Heut Mittag könnte man mal machen, was man will. Doch ausgerechnet da kommen die Schwiegerleute. Und die Schwiegermutter, die sieht jedes Stäubchen. Und denkt nicht dran, sich selber aus dem Staub zu machen.

 

Tun, was wir wollen! Doch leider stehe ich mir dabei selbst im Wege! Ich nämlich müsste wissen, was ich will. Und daran hapert’s ganz gewaltig. Dazu bräuchte es Hirn. Und geistige Präsenz. Und Kraft, sich zu entscheiden. Und dies nicht homöopathisch bloß. Sondern immer. Und überall ist mir Entscheiden abverlangt. Und damit bin ich heillos überfordert. So dass das Thema ganz zu recht unglücklich klingt. Verzweifelt fast:  „Müssen wir wieder tun, was wir wollen?“

 

Sie merken: was hier ursprünglich Kindern in den Mund gelegt, lasse ich bei uns, den Erwachsenen. Wir sind die Überforderten, was das Wollen anbelangt und wo es ums Erziehen geht. So dass aus einem Weg ein Hin- und Her wird in verschiedenste Extreme. Wir Erwachsene sind das Problem jeder Erziehung. Dass Kinder aus der Art geschlagen wären, ist die Ausnahme. Sondern dass der Apfel in der Regel nicht arg weit vom Stamm gefallen ist, das ist doch vielfach das Problem! Und damit haben wir den Dreck! So dass am Ende uns nichts andres bleibt als jener Stoßseufzer „O Herr, schmeiss Hirn ra!“ Oder die Bitte „und vergib uns unsere Schuld!“

 

 

Kinder müssen erzogen werden – Hut ab, wenn darin Einigkeit bestünde, wie es das Thema unseres Gottesdienstes suggeriert. Dann wären wir in unseren Elternhäusern weiter als bloß beim Catering und der Logistik für die Kinder. Dann würden Schulen sich nicht nur als Ort des Unterrichtens sehen und das Lernen so betonen. Und Kindergärten würden nicht nur einüben und Kinder in der Zeit des Aufbewahrens unterhalten.

 

Es ginge dann um mehr als um das Schul- oder das Kindergartenfest und um den Urlaub, die man mit Inbrunst plant, weil das bekanntlich alles toll ist, was hinausgeht über unsern Alltag. Nein, beim Thema Erziehen ist der Alltag Trumpf. Dort soll man leben können und den nicht bloß als die unmögliche Störung unserer Freizeit sehen.

 

Um solch Erziehen geht’s. Ziehen steckt drin, in diesem Wort. Und das hängt ja mit Kraft zusammen, die man braucht. Nicht bloß im Augenblick. Sondern auf Dauer.

Richtung ist da gefragt. Erziehen ist kein Spiel, bei dem man zwischen hü und hott beständig wechseln könnte. Im Bilde muss man sein, ge-bild-et, damit man andere erziehen kann. So dass die Frage wichtig wird: Welches Bild vom Menschen haben Sie vor Augen? Was leitet Sie in Ihrem erzieherischen Handeln?

 

Und welches Bild von Gott steht Ihnen da vor Augen in der Erziehung? Unausgesprochen mag das bleiben. Doch darin, in meinem Bild von Gott wie von den Menschen, manifestieren sich erziehungsleitende Elemente. Ich lass Ihnen ein paar Augenblicke Zeit zur Überlegung. Dazu teile ich Ihnen ein Kärtchen aus, auf dem Sie einen Text und auch zwei Rahmen finden. Mir geht’s zunächst um jene beiden Rahmen, die Sie gedanklich füllen sollten:

- Stille -

 

Nun, was ist drin in ihrem Rahmen, wo es um den Menschen geht? Was leitet Sie in der Erziehung?

 

Haben Sie selbst sich reingesetzt, weil Sie das Maß der Dinge sind? Ist das die Richtung, dass Ihre Kinder sind wie Sie – mit einer Ausnahme: das sie es noch viel, viel besser haben?

 

Oder haben Sie den Rahmen leer gelassen? Wollen Sie überhaupt nichts vorgeben, sondern bloß Freiheit lassen? Das wäre dann noch schlimmer als das Erste! Wo Bilder fehlen, bleibt nämlich die Bildung auf der Strecke.

 

Haben Sie ein Model reingemalt. Weil Schönheit ja bedeutend macht in unserer Welt des Visuellen? Vergessen Sie dann bitte nicht, das Konfirmandengeld für eine erste Schönheitsoperation zurückzulegen. Denn man ist doch gezeichnet für sein Leben, wenn man wie Daniel Küblböck die Ohren mit Tesafilm ankleben muss, damit man sich noch sehen lassen kann.

 

Geht’s Ihnen ums Podest? Dass man herausragt über alle anderen. Und seiner Sippe Ehre macht. Und einer noch womöglich sagt: der Junge, der sei ganz der Vater?

Oder sind Ellenbogen Ihnen wichtig. Dass man sich durchsetzt. Oder geht es um das reibungslose Funktionieren? Nur leider ist dies Motto des nichts Sehen und nichts Hören und nichts Sagen nicht im Bild von Menschen festgehalten, sondern von drei Affen.

 

Was ist das Menschenbild, das mir vor Augen steht – und das ich drum auch beim Erziehen habe? Ich hoff, Sie haben eins. Hoffentlich eines, das sich sehen lassen kann. Weil es mehr zu bieten hat als bloß Leistung und eigner Nutzen und ein wirtschaftliches Wohlergehen?

 

Und darf ich fragen, welches Bild von Gott begleitet Sie und prägt Ihr Handeln? Ich glaub Ihnen kein Wort, wenn Sie mir sagen, Sie hätten keins. Nüchtern hat das Martin Luther auf den Punkt gebracht: woran du dein Herz hängst und dich verlässest, das ist dein Gott. So dass ein jeder ein Bild hat – fragt sich nur, ob das Richtige!

 

Ist es der alte Opa auf der Wolke wie es Kinder haben. Der darin definiert ist, dass er seine Ruhe will und uns darum gestohlen bleiben kann?

 

Ist es der strenge Herr mit dem erhobnen Zeigefinger? Pass auf! Sei anständig! Benimm dich gut! Bei dem natürlich alles dann verboten ist, was nur von ferne auch nach Spaß aussieht.

Ist es das große Auge, dem auch nicht die kleinste Kleinigkeit entgeht?  Pass bloß auf, der liebe Gott sieht alles – selbst das, was wir als Eltern und Erzieher ja nicht sehen können. Und alles kommt dann raus. Und alles wird bestraft.

 

Oder haben Sie auch hier den Rahmen leer gelassen. Weil  Sie nicht festlegen wollen. Nein, Bilder sind wichtig. Und eine Freiheit ist den Kindern immer zuzugestehen: dass sie sich reiben dürfen an den Bildern und diese nicht bloß übernehmen müssen. Nur, wo man sich so reifen kann, reift man heran zu ner Persönlichkeit.

 

Auf Ihrem Blatt finden Sie neben den beiden Rahmen ein Wort des Profeten Micha. Der ist ein Zeitgenosse von Jesaja. Und beide leben in stürmischer Zeit. Wo alles auf den Kopf gestellt wird, was bisher gewesen war. Wo die Assyrer alles durcheinanderbringen, was bislang geordnet war. Wo man drum klagt und händeringend danach sucht, worauf man sich denn noch verlassen kann. Und in dem Tohuwabohu, diesem Durcheinander, unser Wort. Das über diesem Gottesdienst nun steht. Und uns begleitet als der Wochenspruch hinein in unseren Alltag, Micha 6, Vers 8:

 

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben

und demütig sein vor deinem Gott.“

 

Übersetzung Arthur Weiser:

„Er hat dir gesagt, o Mensch, was gut ist, und was Jahwe von dir verlangt: Vielmehr Recht tun und Güte lieben und in Demut wandeln mit deinem Gott.“

 

Und wieder lass ich Ihnen ein paar Momente Stille. Nutzen Sie diese Stille aus, um für sich zu überlegen, welches Bild vom Menschen und von Gott nun dieses Wort uns zeichnet. Welches Bild soll diesem Wort zufolge eingetragen werden in die beiden Rahmen.

- Stille -

 

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert,

nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben

und demütig sein vor deinem Gott.“

 

Nicht tun, was wir wollen. Davon hält Micha nichts. Und dass dies Glück sein soll, das würde er wohl fassungslos zur Kenntnis nehmen. Nein: Tun, was gut ist, das ist hier Devise! Wir sind also nicht in Beliebigkeit entlassen, wo es um das Erziehen geht. Wir sind nicht auf uns selbst gewiesen, so dass ein jeder nach der eigenen Facon und nach bestem Wissen und Gewissen …

Was gut ist, ist der Maßstab! Und das ist etwas gänzlich anderes als das, was uns gut tut.

Dieses Sätzlein lässt nun daran keinen Zweifel, dass es bei ‚gut’ stets um ein Leben in Beziehung geht. Gut wird ein Leben nicht, wenn wir bekommen, was wir wollen oder gerne hätten. Wenn wir uns etwas leisten können durch der eignen Hände Werk, sondern wenn die Beziehungen bei uns stimmig sind. Dies Bild ist hier vor Augen: der Mensch bedarf stets eines Du.

Erziehung muss darum Leben einüben in Gemeinschaft. Nur so kann man werden, was man als Mensch ja werden soll – menschlich nämlich. Das wäre so ein Bild, das bei uns oftmals auf der Stecke bleibt. Dass wir nicht angeleitet werden müssen zu dem eigenen Nutzen. Sondern zum Leben in Gemeinschaft.

Und oftmals braucht man da noch andere Erzieher als die Eltern. Denn in den Klein- und oftmals Rumpffamilien ist  eben jenes Eine nicht mehr möglich, dass man Gemeinschaft lernt – weil man zu zweit ja eigentlich am Rande von Gemeinschaft steht. Deshalb bedarf’s der Schule wie des Kindergartens dringend zur Ergänzung .

 

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist.

Wir haben also nicht den Kopf uns zu zermartern, was das sei, das Gute. Wir haben’s nicht zu definieren, jeder auf seine Art. Wir müssen’s uns vielmehr gesagt sein lassen! Was unser Leben ausmacht ist stets und ganz wesentlich der Zuspruch, der von außen kommt. Was unser Leben definiert, ist, dass wir niemals Herrn von uns selber sind. Das Wesentliche ist und bleibt Geschenk. Von allem Anfang an. Mein Leben, das verdankt sich nicht sich selbst. Die Zukunft liegt nicht in den eignen Händen.

Auf andere bin ich angewiesen. Und die Erziehung hat dies abzubilden. Sie hat nicht anzuleiten zu der trügerischen Haltung, dass man für sich selber stehen könne. Sondern sie hat hineinzunehmen in den Kreis von Menschen, wo man angenommen ist. Wo man bejaht sich weiß. Wo einem etwas zugesprochen ist, selbst dort noch, wo einem die Spucke und die Sprache wegbleiben.

Nicht die Autonomie ist also Zielpunkt, sondern Gemeinschaft mit den Menschen. Und eben dieses ist kein Makel und kein Mangel. Es ist vielmehr die Stärke meines Lebens. Dass ich vom Zuspruch eines andern lebe. Zuspruch meint – so verstanden - Liebe. Es ist dir gesagt, Mensch, aus einem Grund: du bist mir nicht egal. Ich mein es gut mit dir. Und will für dich das Beste drum.

(Erziehung, die nur offen lassen will, bleibt solchen Zuspruch schuldig. Und braucht sich nicht zu wundern, wenn am Ende die von uns Erzogenen nur zu Ansprüchen und Forderungen finden, die sie stellen. Hier geht es aber darum, dass hineingeben wird ins Leben, was Grund legt und was Hoffnung schenkt und so zum nächsten Schritt befähigt.

 

Unter diesem Gesichtspunkt haben wir Erwachsene uns selbst zu sehn. Wir sind nicht Alleswisser, die dann sagen, wo es lang geht. Wir sind vielmehr selber Beschenkte. Die vom Zuspruch Gottes leben.

Wir sind nicht Besserwisser, so dass die anderen so wie wir zu werden hätten. Sondern im besten Falle Wegzeichen, in der Erfahrung den Kinder dann voraus, dass wir wissen, wo es was zu holen gibt. Was Leben trägt und hält.

Segen haben wir zu sein. Und dies ist eine höchst bescheidne Rolle. Weil wir damit nicht selbst ins Licht zu stellen sind. Sondern weil an uns deutlich werden soll, wer uns gesegnet hat.

 

Was gut ist, wird hier nicht in Form von guten Ratschlägen gegeben. Und endet nicht in Vorsätzen, die von mir dann zu fassen wären. Es geht auch nicht um hunderttausend Punkte, die beachtet werden wollen oder abzuhaken, wenn die Leistung stimmen soll. Es geht um eine Grundhaltung, die jenem Zuspruch erwächst. Und diese Grundhaltung wird hier in einem Dreiklang vorgegeben:

 

Gottes Wort halten – wörtlich übersetzt: Recht tun ist dabei der erste Ton. Und dies setzt eben nicht auf Frommsein gegenüber Gott. Sondern nun auf mein Leben und Verhalten in der Welt. Hier, mitten unter uns, soll jener Friede Gottes nun Gestalt annehmen. Nicht so, dass ich mein gutes Recht bekomme, sondern dass Recht andern widerfährt. Nicht so, dass ich drauf poche, dass der andere das bekommt, was er verdient, sondern das, was er braucht. Für seinen nächsten Schritt. Das will jenes Recht von Gott, das mir gegeben als Geschenk und Zuspruch. Und das als Aufgabe mir überlassen ist.

 

Liebe/Güte üben ist der zweite Ton. Und unterstreicht gerade dies. Gott lässt sich nicht auf einen Richter reduzieren, mit dem sich trefflich drohen ließe. Hier geht es nicht um Vergeltung. Sondern um ein Verhalten, das über alles Selbstverständliche ganz weit hinausgeht. Das ist gemeint: dass mir was zugesprochen ist, auch wenn ich dies gar nicht verdient. Dass ich mit seinem Ja nun lebe, obwohl an meinen Taten vielerlei ein klares Nein verdient. Das ich mit Hilfe rechnen darf, wo Strafe angemessen wäre.

Und auf solch Güte soll mein Leben Antwort geben. Und neben solcher Güte gibt es nichts, was nun Verheißung hätte. Auch beim Erziehen nicht. Was da geschieht mit Teufels Gwalt oder mit Engels Zungen, das ist stets meilenweit von dem entfernt, was Güte leistet. Sie nämlich kann verändern und zur Umkehr bringen.

 

Demütig wandeln vor deinem Gott ist dann der dritte Ton unseres Dreiklangs.

Nicht Buckeln oder Schleimen gilt’s zu üben. Sondern zu zeigen, wem das eigne Leben man verdankt. Und mit dem Leben dann zum Ausdruck bringen, dass es angewiesen ist und bleibt auf Gott. Wer so demütig wandelt, der kann unter Menschen aufrecht gehen. Er muss es hier nicht zu was bringen, in dem er sich anpasst oder sich einschmeichelt. Er kann sich selbst gesagt sein lassen, was gut ist, und solches Gute, solche Güte, anderen weitergeben und denen ein Segen sein

 

Und das ist nun Modell einer Erziehung – und damit kehren wir nochmals zurück zu unserem Blatt. Zwei Rahmen, die gefüllt sein sollen mit Bildern, die mich prägen und die beim Erziehen nun mein Handeln leiten sollten.

Ich denke für den Rahmen mit der Aufschrift Gott, da gibt’s nichts Besseres als den Gekreuzigten dann einzutragen. Der ist auf offne Arme festgelegt – wer wir auch sind.  Der hält die Hände so, dass er mich segnet – gleichgültig, wie ich mich verhalte, ob ich seinen Freunden oder eher Feinden zuzurechnen bin. Und in den offnen Armen und den Segenshänden Gottes leibhaftige Güte. In Ewigkeit. Und drum mein Leben überdauernd.

 

Und in  den Bilderrahmen Mensch, da wäre ein Gesicht dann einzutragen, dem solche Güte ins Gesicht geschrieben steht. Der sich das Gute nun gesagt sein lässt und Recht und Liebe dann zusammenbringt in seinem Handeln. Und anderen zum Segen werden kann, weil er sich selbst gesegnet weiß.

 

Mit solchen beiden Bildern hätte Sie schon eine ganze Menge für das eigene Erziehen dann in petto. Nur, es sind Bilder. Die ihr Leben daraus dann gewinnen, nicht dass ich tolle Worte mache. Sondern dass ich dies zum Vorbild für mein eigenes Leben nehme.

                              

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben

und demütig sein vor deinem Gott.“

 

Das ist die eigentliche Crux, dass wir meist schwätzen wie verrückt und uns dann wundern, dass die anderen als Antwort darauf handeln wie bescheuert. Womöglich wäre etwas anderes gefragt als dass wir andere in der Erziehung zumüllen:

Nämlich, dass wir mit unserem Leben Vorbild sind und an uns abzulesen ist, wes Geistes Kind wir sind und welcher Geist uns treibt. Amen.

 

 

2005-10-09

Reinhard Zimmerling

Schuldekan, Calw